Die Baulandreserven gehen in der Schweiz mehr und mehr zurück. Die Folgen sind verdichtetes Bauen und parallel dazu eine zunehmende Nachfrage nach bestehender Bausubstanz. Die zahlreichen Altbauten in der Schweiz warten auf Sanierungen. «Diese Situation stellt für Schreinerbetriebe mit entsprechendem Know-how eine grosse Chance dar, um bereits in der Planungsphase an Aufträge zu gelangen», sagt Kurt Frauchiger, ehemaliger Leiter einer kantonalen Schätzungsabteilung und aktuell Prüfungsexperte für den VSSM und die Höhere Fachschule Bürgenstock (HFB).
Vielfältige Kompetenzen
Der «Diplomierte Techniker HF Holztechnik Schreinerei» verfügt genau über jene Kompetenzen, die im Rahmen von Gesamtlösungen bei Umbauten eingesetzt werden können. Während ein «Projektleiter Schreinerei» schreinerspezifische Projekte leiten kann, geht das Wissen eines Technikers deutlich über das herkömmliche Schreinerwissen hinaus. Er versteht das öffentlichrechtliche Baurecht und das Produkthaftpflichtrecht, er weiss, wie Baubewilligungsverfahren ablaufen, und er verfügt über erweiterte Kenntnisse der SIA-Normen. Zu seinen Tätigkeiten gehören auch Ausschreibungen, das Offertwesen und das Erstellen von Grobkonzepten nach Baukostenplan.
Genau aus diesem Grund hat sich damals auch Andreas Schenkel nach seiner Ausbildung zum «Sachbearbeiter Planung VSSM» für den Lehrgang zum Techniker entschieden. «Der ‹Sachbearbeiter Planung›, heute ‹Projektleiter Schreinerei›, erleichtert den Einstieg in die Arbeitsvorbereitung enorm. Um jedoch Projekte zu begleiten, die etwas über den klassischen Möbel- und Innenausbau hinausgehen, ist der Lehrgang zum Techniker sehr empfehlenswert.» Für Schenkel waren der Technikerlehrgang und das dabei angeeignete Wissen Grundstein für die Bearbeitung anspruchsvoller Projekte. «Ich habe in der Ausbildung gelernt, kleinere Umbauarbeiten zu planen, zu devisieren und während der Ausführung zu begleiten.» Heute ist Andreas Schenkel selbstständiger Projekt- und Bauleiter. Dank des Technikerlehrgangs konnte er insbesondere im Innenausbau- Bereich von Anfang an seine Kunden umfassend beraten und spannende Bauten umsetzen. Mit einer weiteren Ausbildung zum «Diplomierten Bauleiter Hochbau» hat Schenkel sein Kompetenzenprofil für die Selbstständigkeit abgerundet.
Die Kompetenzen eines Technikers sind nicht nur in der Selbstständigkeit nützlich. Kurt Frauchiger ist überzeugt, dass Betriebe mit einem Techniker über deutlich mehr Möglichkeiten verfügen, ihre Geschäftstätigkeiten auszudehnen: «Ein Techniker kann ganze Umbauten übernehmen und koordinieren und wird somit zum Hauptansprechpartner für den Kunden. Ausserdem kann er die Umbauten in diesem Fall so planen und realisieren, dass die Konstruktionen und Termine auf seine Betriebsabläufe zugeschnitten sind.» Ein weiterer Pluspunkt sei zudem die Verrechenbarkeit der Planungs- und der Beratungsleistungen des Technikers. Frauchiger ergänzt, dass insbesondere bei Renovationen von Altbauten, die oft mit einem hohen Holzanteil gebaut wurden, Fachleute der Holzbranche mit grossem Wissen gefragt sind, um bei unvorhergesehenen Problemen konstruktive Lösungen zu finden.
Er hat sogar ein ganz konkretes Geschäftsmodell für Schreinerbetriebe mit einem Techniker vor Augen: «Die Unternehmen könnten sanierungsbedürftige Liegenschaften mit einer kurzen Restlebenserwartung erwerben, die Wohnungen zeitgemäss umbauen, wobei die Wertschöpfung im Betrieb bleibt, und die Liegenschaft anschliessend wieder dem Markt übergeben.»
Im Team kommen die Fachleute der Beck Konzept AG in Buttisholz LU zu einem optimalen Ergebnis (Bild: Sascha Frey).
Potenzial erkennen
Michael Gnos, Schulleiter der HF Bürgenstock, ist ebenfalls davon überzeugt, dass der Techniker zukünftig eine tragende Rolle in erfolgreichen Schreinerbetrieben einnehmen wird. «Die Holzbaubranche hat es vorgezeigt: Viele Betriebe haben ihre traditionellen Kompetenzen deutlich erweitert. Sie bieten neben dem eigentlichen Holzbauhandwerk und dessen herkömmlichen Planungsleistungen auch Gesamtprojektierungen an. Das verschafft ihnen einen vorzeitigen Zugang zu Aufträgen.»
Gnos ist der Meinung, dass die Schreinerbranche dieselben Chancen und Möglichkeiten wie die Holzbaubranche hat und der Techniker dabei eine Schlüsselrolle übernimmt. Mit ihren fachlichen sowie betriebswirtschaftlichen Kompetenzen sind Techniker in der Lage, Bau- und Umbauvorhaben umfassend zu projektieren, zu leiten und zu koordinieren. Auch Andreas Schenkel sagt, dass er sich für die Ausbildung zum Techniker entschieden habe, weil er seine Zukunft im Projektmanagement sah und weniger in der Geschäftsführung einer Schreinerei.
Aufträge generieren
Dieses Potenzial gilt es zu nutzen, denn je früher der Schreiner bei einem bevorstehenden Umbau involviert ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass er daraus auch Aufträge generieren kann. Ein weiterer Pluspunkt der Schreinerbetriebe ist, dass sie bei den Endkunden grundsätzlich hohes Ansehen und grosses Vertrauen geniessen. Deshalb sagt Gnos: «Die Schreinerbranche darf nicht darauf warten, was die Zukunft bringt, sondern muss aktiv daran arbeiten, die eigenen Stärken auszubauen und zu nutzen. So bleibt die Schreinerbranche für junge Berufsleute attraktiv, und sie sehen darin auch eine persönliche Entwicklungsperspektive.»
Vier Bildungsinstitutionen
Angehende Techniker werden während ihrer Ausbildung Schritt für Schritt auf ihre zukünftige Kaderfunktion in einem Holz verarbeitenden Betrieb vorbereitet. In der deutschsprachigen Schweiz kann die Ausbildung zum «Diplomierten Techniker HF Holztechnik» an vier Standorten absolviert werden. Die in diesem Artikel beschriebenen Kompetenzen des Technikers beziehen
sich vor allem auf die Inhalte des Technikerlehrgangs, der in das Bildungssystem VSSM/Frecem integriert ist und auf den Abschlüssen der Stufe Berufsprüfung «Projektleiter/ Produktionsleiter Schreinerei» aufbaut. Dieser integrierte Lehrgang kann an der IBW Höhere Fachschule Südostschweiz und an der HF Bürgenstock berufsbegleitend in der Vertiefungsrichtung Schreinerei absolviert werden.
An der Höheren Fachschule für Technik und Gestaltung (HFTG) in Zug absolvieren die Studierenden den Technikerlehrgang in Vollzeit und fokussieren dabei auf moderne Fertigungs- und Steuerungstechnologie beziehungsweise den Planungs-, Produktionsund Logistikbereich von Innenausbau- und Zulieferfirmen. An der Höheren Fachschule Holz in Biel wird ebenfalls in Vollzeit studiert. Hier können Studierende mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis als Schreinerin oder Schreiner zwischen der Vertiefung Schreinerei/Innenausbau und Holzindustrie/ Handel wählen.
Trotz der absolut identischen Lehrgangsbezeichnung «Dipl. Techniker/in HF Holztechnik» unterscheiden sich die inhaltlichen Schwerpunkte sowie auch das Ausbildungssystem zwischen den einzelnen Bildungsinstitutionen stark. Es ist daher ratsam, sich frühzeitig über die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse klar zu werden und sich über die einzelnen Ausbildungsschwerpunkte zu informieren.
Lehrgang an der HFB: Wertvoller Wissensaustausch
An der Höheren Fachschule Bürgenstock findet die Ausbildung zum Techniker berufsbegleitend im Blocksystem statt. Die Teilnehmenden sind während rund zwölf Wochen pro Jahr, verteilt auf drei bis vier Blöcke, in den Unterrichtswochen jeweils von Montag bis Freitag vor Ort. Dieser Abstand vom Arbeitsalltag fördert die volle Konzentration auf die Ausbildung. Ausserdem profitieren die Teilnehmenden intensiv vom Wissensaustausch in Lerngruppen – auch nach Unterrichtsschluss – und von einer Umgebung, die zu zahlreichen Freizeit- und Sportaktivitäten einlädt. Das Ausbildungssystem der HF Bürgenstock mit der speziell kombinierten Ausbildung zum Projekt-/ Produktionsleiter ermöglicht eine nahtlose Weiterführung von der Berufsprüfung zum Techniker HF wie auch zum Schreinermeister. Ideal ist, wenn das Endziel bei Ausbildungsstart noch nicht zu 100 % feststeht. Nächste Kursstarts für die Weiterbildung zum «Techniker HF Holztechnik Schreinerei» sind am 10. August 2020 (ab Fertigungsspezialist) und am 11. Januar 2021 (ab Berufsprüfung).